Das Mädchen mit dem Regenschirm von Banksy

Banksy ist ein britischer Streetart-Künstler, der heimlich an Wänden mit der Spraydose  figürliche Darstellungen anbringt. Bei Versteigerungen erzielen seine Werke, gemalt auf Brettern oder Leinwand, sechsstellige Beträge. Wer sich hinter dem Künstlernamen verbirgt, ist unbekannt.

Die Frage, ob Streetart Kunst ist oder nicht, erübrigt sich, da heute kein Mensch mehr weiß, was Kunst überhaupt ist. Für mich ist ein Werk dann wertvoll, wenn es mit irgendetwas in mir, mit etwas in meinem Inneren kommuniziert und mich zum Denken anregt. Ein Bild, dass (für mich) lediglich aus bunten Farben besteht, kann ich als schön empfinden und würde es auch aufhängen. Wirklich wertvoll sind derlei Gemälde für mich nicht.

Warum berührt mich »Das Mädchen mit dem Regenschirm« von Banksy? Ein Mädchen hat sich einen Schirm aufgespannt, unter dem es regnet. Verkehrte Welt? Sie streckt prüfend ihre Hand aus dem Regen, um zu prüfen, ob es trocken ist. Sie könnte aus dem Regen heraustreten, tut es aber nicht. Würde sie bei Regen jenseits des Schirms, den Schirm einklappen? Wenn wir die Erwartung, die wir bei einem Schirm in dieser Darstellung haben, ins Gegenteil verkehren, dann würde sie genau das tun. Der Schirm mit seiner Nässe wäre nicht mehr notwendig.

Auf dem Schirm sind, in dieser Version des Bildes, Herzen. Ich denke, sie wurden bei einer Bildbearbeitung aus Marketinggründen angebracht. Deshalb sind sie trotzdem gut, denn sie dienen dem Verständnis. Wofür Herzen stehen, bedarf keiner Erläuterung. Sind kleine Mädchen nicht für diese Form der Darstellung von Liebe empfänglich? Und begleitet uns Menschen nicht gerade diese naiv-kitschige  Vorstellung von Liebe häufig unser ganzes Leben?  Wird aber unser Wunsch nach einer konfliktfreien Liebe nicht begleitet von Frust und Ent-Täuschung, dessen Sinnbild im Gemälde der Regen sein kann? Warum klappt das Mädchen den Schirm nicht zu? Würde sie es tun, wäre sie im Trockenen. Aber was wäre mit der Liebe? Sie erträgt lieber die Trauer und Frustrationen, die ihre kindliche Liebe mit sich bringt, als dass sie ins coole Nicht-Empfinden überwechselt. Denn Cool-Sein ist nichts anderes, als die Verdrängung von Gefühlen. Das Coolsein verhindert Trauer und Frustration um den Preis, auch Liebe und Wärme empfinden zu können. Sie zieht es vor, im Regen stehenzubleiben, den ihr die Bereitschaft zu Lieben beschert.

Es gibt dieses Bild auch ohne Herzen, die ja, wie bereits erwähnt, eine Interpretation darstellen. Eine weitere Erklärungsmöglichkeit wäre, dass das Kind (in uns?) sich einen Schutzmechanismus zugelegt hat, der es nur nass macht, das heißt, ihm (uns?) nur schadet. Könnte dieser Regenschirm „Coolness“ heißen? Das Kind (in uns?) hat Angst, diesen vermeintlichen Schutz vor Trockenheit zu verlassen. Es will nicht auf diesen Schutz (der keiner ist) verzichten.

Stehen wir lieber im Regen oder sollten wir ins Trockene wechseln? Diese Frage drängt sich mir auf, wenn ich das Bild von dem Mädchen mit dem Regenschirm auf mich wirken lasse.

Ich finde das Werk genial. Es wäre schön, wir hätten in Pfinztal auf dem Skulpturenweg Vergleichbares.

P.S.: Ich verwende entgegen der noch gültigen Grammatik für »Mädchen« das Personalpronomen »sie« anstatt »es«. Wo wir Sprache sinnvoll in Richtung Emanzipation verändern können, sollten wir dies tun. Wo Veränderungen sinnfrei sind, wie m.E. beim Gendern, da lasse ich es sein.