Die kleine Hair

Ein Werk von Monika Kirks auf dem Skulpturenweg Pfinztal

Märchen und Mythen faszinieren mich. Aus ihnen können wir viel über uns und unsere Welt erfahren. Mein erster Wieder-Kontakt mit Märchen war die Interpretation des Märchens „Der Froschkönig“ von H. Jellouschek. Diese Interpretation ist in dem Buch: „Im Irrgarten der Liebe“, enthalten. Darin interpretiert Jellouschek zudem das russische Märchen „Die Froschprinzessin“. Ich war derart fasziniert von Jellouscheks Interpretation der Froschprinzessin, dass ich auf dieser Grundlage den Roman „… doch es war mehr als Liebe“ geschrieben habe.

Die „Wahrheiten“ der Märchen haben mich so in ihren Bann gezogen, dass ich mich selbst an Märcheninterpretationen herangewagt habe. Das Ergebnis ist unter dem Titel: „Von Wölfen, Wäldern und wehrlosen Jungfrauen“, erschienen. Und dann plötzlich entdecke ich auf dem Skulpturenweg Pfinztal „Die kleine Hair“, eine Skulptur von Monika Kirks! Ich muss gestehen, es war Liebe auf den ersten Blick! Jeder wird in einem wertvollen Kunstwerk die Phänomene erkennen, die er erkennen will und kann. Meine erste Assoziation war, dass sie die Protagonistin fast aller Märchen ist, und zwar bevor diese ihren Weg zur inneren Entwicklung, zur Befreiung antritt, das heißt, bevor die Erzählung des Märchens beginnt. Das Mädchen ist vergraben in ihre Haare, versteckt sich unter ihnen vor der Wirklichkeit, versteckt sich vor einer grausamen Mutter, die, getarnt als Stiefmutter, in fast allen Märchen als fiese Peinigerin auftaucht. Das Mädchen kauert sich zusammen, sie macht sich klein, will nicht gesehen und schon gar nicht wahrgenommen werden. Um vollends zu verschwinden, versteckt sie sich unter ihren Haaren. Doch warum die Haare? Haare sind ein Archetyp, ein Mythensymbol für Leben, also auch für Erotik und Liebe. Die Haarfülle verrät, dass das Mädchen viel Liebe in sich hat, oder versteckt sie sich hinter ihrer Sexualität, so dass man ihre wahre Persönlichkeit nicht erkennt? Vielleicht wäre sie dann das Abbild einer Frau, die sich leicht hingibt, sich klein macht, ihre Emotionen hinter ihrer Sexualität verbirgt, um selbst nicht gesehen zu werden. Wir wissen es nicht, die Bedeutung der Skulptur ist der Interpretation eines jeden Betrachters überlassen.

Im Gespräch mit der Künstlerin ist eine weitere Deutungsmöglichkeit aufgetaucht. Was tut ein Kind, wenn es etwas Schlimmes getan hat, wenn es sich schämt oder auch nur frustriert ist? Es versteckt sich im Schrank, schließt vielleicht sein Zimmer ab, es möchte einfach nicht mehr da sein, es macht sich aus Scham klein und will doch um seiner selbst geliebt werden. Welche Rolle käme bei dieser Deutung den Haaren zu? Mag sein, das Kind möchte mit seiner Liebe signalisieren, komm her, drück mich, befreie mich aus dieser schrecklichen Einsamkeit, in die ich mich manövriert habe oder in die ich gebracht wurde.

Lieber Leser, ich hoffe Sie verstehen, warum die Skulptur „Die kleine Hair“ für mich Liebe auf den ersten Blick war. Sie ist ohne Frage eines der Highlights des Skulpturenwegs und ich bin sicher, Ihnen fällt eine weitere Deutung dieses Kunstwerks ein, denn die Kunst entsteht am Ende durch die Erkenntnis des Betrachters.