Der Hockende von Anette Mürdter

Muss Kunst schön sein? Eine rhetorische Frage. Natürlich nicht! Kunst kann sich mit Themen wie Ausbeutung, Verzweiflung, Krankheit und Tod auseinandersetzen. Man würde sich nicht unbedingt Guernica von Pablo Picasso im Kleinformat ins Wohnzimmer hängen, wird auf dem Gemälde doch der Schrecken des Bombenkriegs plastisch dargestellt. Aber dennoch würde niemand dem Gemälde mit dem imposanten Format 349 × 777 cm seinen künstlerischen Wert absprechen. Bei einem Besuch im Museo Reina Sofía in Madrid würde man es sich ansehen und es auf sich wirken lassen.

De Ciberprofe – Trabajo propio, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=36806841

Ich würde mir auch nicht sehr gerne die Skulptur der Hockende von Anette Mürdter in den Garten stellen, obwohl die Skulptur einen der Highlights auf dem Skulpturenweg Pfinztal darstellt.

Die Künstlerin versteht es das Dumpfe und stur Beharrende der Menschennatur exzellent darzustellen. Das anatomisch kaum mögliche Zusammenkauern des Hockenden verrät, er hat keinesfalls das Bedürfnis, sich von der Stelle zu bewegen. Seine geschlossenen Augen bei gleichzeitig geöffnetem Mund könnten bedeuten, dass der Mensch schläft. Doch: Wäre das bei einer derartigen Position überhaupt möglich? Wohl kaum! Für mich drücken die geschlossenen Augen die Weigerung aus, die Umwelt, die Wirklichkeit wahrzunehmen. Doch das hindert ihn nicht daran, seinen Mund aufzureißen. Wer fühlt sich da nicht an die Social Media erinnert? Mit seinen Händen hält er seine Beine fest. Er will sich nicht bewegen, er will nicht überzeugt werden, er will nicht hinschauen, weil das Hinschauen ihn verändern würde und Veränderung ist immer auch Bewegung, ist Leben.

Handelt es sich beim Hockenden um einen Mann oder um eine Frau? Wir wissen es nicht. Der erste Eindruck: Es ist ein Mann. Doch weisen die Gesichtszüge nicht auch auf eine Frau hin? Es ist ein Mensch, ein Mensch, der in seiner Dumpfheit den Betrachter provozieren, der aber auch den Blick auf die eigene Dumpfheit und Sturheit lenken kann. Wie oft verschließt man vor der Wirklichkeit die Augen, ist sich seiner Meinung um so sicherer, je weniger man weiß und kennt?

Der Hockende ist ein Besuch wert. Vielleicht erkennen wir uns selbst in ihm, denn die Ignoranten sind nicht immer unsere Mitmenschen, die anderen.